Der Rüssinger Taufstein

Der alte Rüssinger Taufstein in der Karthäuser Kapelle in NürnbergIm Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg steht der spätgotische Taufstein aus der Rüssinger Kirche. Dieses bemerkenswerte Stück hat ein ähnliches Schicksal erlitten, wie viele andere in unseren pfälzischen Kirchen auch. Er hat, im Gegensatz zu vielen Taufsteinen in den großen pfälzischen Territorien Kurpfalz und Pfalz-Zweibrücken, den verordneten Kahlschlag überstanden (1). Aber durch die Änderungen in der Taufliturgie im 18. Jahrhundert, als die Haustaufe immer mehr in Mode kam, wurde der Taufstein in der Kirche allmählich überflüssig. Spätestens bei der barocken Umgestaltung der Rüssinger Kirche 1770 kam er aus dem Gotteshaus.  

 

Wie auch anderenorts (2) fand der Taufstein wohl auf dem Friedhof oder dem Pfarrgarten einen neuen Platz und erhielt eine neue Funktion als Brunnenbecken. Hierzu wurden Öffnungen zum Abfließen des Wassers an der Seite angebracht. Im Laufe des 19. Jahrhunderts dürfte er von einem Kunsthändler entdeckt worden sein und kam auf diesem Weg nach Bayern. Im Mai 1894 bot der Münchner Antiquar Georg Mössel, der den Taufstein in seinen Besitz gebracht hatte, das Objekt dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zum Kauf an (3). Dieser Kauf wurde wenig später getätigt. So fand der Rüssinger Taufstein im Kapitelsaal der Kartäuser Kirche in Nürnberg seinen neuen Platz.

Auf einem dreifach gestuften Sockel erhebt sich eine oktogonale Schale mit breitem Rand, deren Außenhaut ornamental aufgefasstes Astwerk trägt. Auf einer Seite ist St. Martin mit seiner Mantelspende zu sehen. Vor einer stilisierten Felslandschaft reicht er seinen halben Umhang dem hinter dem Pferd stehendem Bettler. Die Kuppa wird von vier knienden Engeln getragen. Jeder Engel hält ein Schild vor sich, auf dem jeweils ein Leidenswerkzeug Christi dargestellt ist: Hammer, Zange, Nagel. Das vierte Schild ist leider zerstört, es wird wohl das Kreuz, die Lanzenspitze oder den Essigschwamm gezeigt haben.

Der Taufstein besteht aus zwei horizontal zusammengesetzten Buntsandsteinblöcken. Der untere entspricht der Sockelhöhe. Das Stück ist vor allem an den Kanten sehr bestoßen, aber auch die figürlichen Darstellungen weisen zum Teil erhebliche Beschädigungen auf. Das Haupt des Bettlers ist abgeschlagen oder auch der Schild eines Engels zerstört. Außerdem weist der Stein erhebliche Verwitterungsspuren auf, die von einer Aufstellung oder Lagerung des Steines im Freien stammen. Der Taufstein hat einen oberen Durchmesser von 99 cm und eine Höhe von 91 cm.

Stilistisch gehört das Taufbecken zu einer kleinen Gruppe rheinhessischer Astwerktaufsteinen. Zentrum des Astwerktypus ist Worms, Vorbild und Anreger aller Astwerk-Taufsteine das prachtvolle Exemplar aus der Wormser Taufkirche St. Johannis. Der Taufstein befindet sich heute in der Nikolauskapelle des Wormser Domes. Alle Typen, die sich auf diesen Stein zurückführen lassen, haben einen pokalförmigen Aufriß, die polygonale Kuppa mit dekorierten Seiten und bei reicheren Exemplaren eine figürlich gestalten Fuß. Je nach den Figuren kann man in Löwen-, Evangelisten- oder Engelsockeltaufstein unterscheiden. Von den Engelsockel-Taufsteinen haben sich nur der Rüssinger, der Göllheimer und Ottersheimer erhalten. Der einzige vollständig erhaltene steht in der Ottersheimer Kirche. Der Göllheimer, das heißt vielmehr die Taufsteinreste, kamen 1954 ins Historische Museum der Pfalz nach Speyer.

Das Astwerk ist als Lebensbaumornamentik zu deuten. Die durch die deutliche Pokalform der Astwerktaufsteine gegebene Beziehung zum Messopfer, spricht für die Gleichsetzung des biblischen Lebensbaumes mit dem erlösenden Kreuz Christi. Auf solche christologische Begründung des Taufsakraments am Ende der Gotik weisen die als Sockelfiguren verwendeten Engel mit den Leidenswerkzeugen Christi. Diese Darstellung vom Leiden und Sterben Jesu unterstreicht die Bedeutung der Taufe als eines Mitsterbens und Mitauferstehens mit dem Erlöser (Röm. 6, 3f.; Kol. 2, 12f.) (4).

 

 

(1) Sehling, Emil (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 14: Kurpfalz, Tübingen 1969, S. 254ff.
(2) Unger, Rüdiger: Albisheim, in: Donnersberg-Jahrbuch 2005, S. 141-143.

(3) Kammel, Frank Matthias: Das Taufbecken als Lebensbrunnen, in: Monatsanzeiger – Museen und Ausstellungen in Nürnberg, 1, 2003, Nr. 262, S. 5-6.

(4) Böcher, Otto: Alte Taufsteine in den protestantischen Kirchen der Pfalz, in: Der Turmhahn 10, 1966, H. 6, S. 4.

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