Greiskraut - Die Gelbe Gefahr?

Abb. 1: Jakobs-Greiskraut mit den charakteristischen Blattmerkmalen. (Foto: H.Himmler)Der Lebensmittelskandal für das diesjährige Sommerloch kam aus der Pfalz: Von hier stammte die Rucola-Packung, die in einer Hannoveraner Plus-Filiale verkauft wurde und mit dem Gewöhnlichen Greiskraut (Senecio vulgaris) verunreinigt war. „Giftpflanze statt Rucola im Salat“ titelte daraufhin „Focus online“, der Deutschlandfunk witterte einen „Rucola-Skandal“ und auch den Bajuwaren dräut Ungemach – „Giftkraut verbreitet sich auch in Bayern“, meldete am 12. August der Bayerische Rundfunk. In den Medien war die vermeintliche Gefahr allgegenwärtig.

 

 

Abb. 2: Blütenstand des RaukenblättrigenGreiskrauts. (Foto:Oliver Röller)In den ersten Pressemeldungen galt noch das Jakobs-Greiskraut (Senecio jacobaea) als der Unhold im Salat. Das konnte bei Botanikern nur Erstaunen auslösen, denn Äcker zählen nicht zu den Lebensräumen dieser Art. Erst im weiteren Verlauf korrigierte die Presse stillschweigend die Fehlbestimmung, die indessen wenigstens insofern nicht entscheidend war, als beide Arten die gleichen Gifte enthalten. Dem Jakobs-Greiskraut haftet in Landwirtschaftskreisen schon seit einigen Jahren ein schlechter Ruf als immer gefährlicher werdende, da sich rasant ausbreitende Giftpflanze der Wiesen und Weiden an. Expansiv ist jedenfalls die Sorge, wenn nicht Panik, die das Gewächs bei Vieh und insbesondere bei Pferdehaltern auslöst. Doch inwieweit sind die Bedenken wegen Greiskräutern in Weiden, im Heu und im Salat berechtigt?

 

Greiskräuter in der Pfalz

Die Gattung Greiskraut (Senecio) ist in der Pfalz mit elf Arten vertreten, von denen neun seit jeher, zumindest seit Jahrhunderten, heimisch sind. Das Jakobs-Greiskraut gehört dazu. Es ist schon immer in der Pfalz weit verbreitet, vor allem in der West- und der Nordpfalz. Das ähnliche Raukenblättrige Greiskraut (Senecio erucifolius) ist als wärmeliebendere Art mit südlicher Hauptverbreitung in der Rheinebene häufiger als das Jakobs-Greiskraut. Beide Arten wachsen vor allem an Böschungen und Wegrändern sowie in Wiesen- und älteren Ackerbrachen, also an Standorten mit gelegentlicher, unregelmäßiger Mahd und mäßig hohem Nährstoffangebot. Das auffälligste Unterscheidungsmerkmal beider Arten ist der vergrößerte Endlappen der Grundblätter beim Jakobs-Greiskraut.

•Die häufigste unserer Greiskraut-Arten ist das Gewöhnliche Greiskraut.
Es zählt zu den wenigen Pflanzenarten mit Nachweisen in allen TK-Quadranten der Pfalz, denn es fehlt in kaum einem Garten, und auch kleinste Ruderalstellen können ihm genügen.

•Waldsäume und Schlagfluren mit einem Schwerpunkt in der West- und Nordpfalz besiedeln das Klebrige, das Wald- und das Fuchs-Greiskraut (Senecio viscosus, S. sylvaticus, S. ovatus).

•Nur zerstreut in wechselfeuchten bis nassen Wiesen wächst das Wasser-Greiskraut (Senecioaquaticus). Die seltenste der Greiskraut-Arten ist das Sumpf-Greiskraut (Seneciopaludosus) der Pfeifengraswiesen und Schilfröhrichte am Rhein, selten auch auf den Schwemmfächern.

•Schließlich gibt es auch zwei neophytische Arten: Das Frühlings-Greiskraut (Seneciovernalis) ist in den meisten Teilen der Pfalz seit Jahrzehnten häufig, vor allem an Straßenrändern und in bodentrockener Ruderalvegetation. Seit den 1990er Jahren zählt die Ausbreitung des südafrikanischen Schmalblättrigen Greiskrauts (Senecioinaequidens) zu den auffälligsten Veränderungen unserer Flora; sie ist durch die klimatische Erwärmung begünstigt.

 

Als die giftigsten Arten gelten das Jakobs-Greiskraut, das Raukenblättrige Greiskraut und das neophytische Schmalblättrige Greiskraut. In einzelnen Quellen wird aus diesem Trio das Raukenblättrige Greiskraut als vergleichsweise harmloseste Art angegeben, bei den meisten Angaben wird aber zwischen den genannten Arten kein Unterschied gesehen.

 

Ausbreitung der Greiskräuter?

Abb. 3: Verbreitung des Jakobs-Greiskrauts in der Pfalz (aus dem Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen der Pfalz von W.Lang & P.Wolff, ergänzt durch W. Lang).Aus etlichen Teilen Deutschlands, insbesondere dem Norden, und auch aus Nachbar-ländern wie den Niederlanden wird von einer seit Mitte der 1990er Jahre stattfindenden Expansion des Jakobs-Greiskrauts
berichtet. Die Quellen sind durchaus seriös, zu ihnen zählt beispielsweise das Amt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein.Wird das Jakobs-Greiskraut auch bei uns häufiger, oder eventuell auch das immer wieder mit ihm verwechselte Raukenblättrige Greiskraut?
Die in den „Mitteilungender POLLICHIA“ regelmäßig veröffentlichten Nachträge zur „Flora der Pfalz“ geben hierzu keinen Aufschluss, denn hier werden Neunachweise auf Quadrantenebene wiedergegeben. Ob sich aber die Häufigkeit einer Art innerhalb einzelner Quadranten verändert,wird daraus nicht ersichtlich. Daher habenwir Botaniker aus der Pfalz und Nachbargebieten nach ihren subjektiven Eindrücken gefragt.

 

Abb.4: Verbreitung des Raukenblättrigen Greiskrauts in der Pfalz (aus dem Verbreitungsatlas der Farn- und Blütenpflanzen der Pfalz von W. Lang  &P.Wolff, ergänzt durch W. Lang).Die Antworten ergaben ein einhelliges Bild: Von einer Expansion des Jakobs- oder des Raukenblättrigen Greiskrauts in der Pfalz kann keine Rede sein. Allerdings gelangen die Pflanzen in neuerer Zeit gerade an Straßenrändern, wo man sie kaum übersehen kann, wegen der extensiveren Pflegemit seltenerer Mahd in größerer Zahl zur Blüte und fallen dadurch verstärkt auf. An einzelnen Stellen wurden aber auch Zunahmen gemeldet.

•So berichtet Dr. Hans Reichert (Trier) von einer größeren Häufigkeit des Jakobs-Greiskrauts in Pferdeweiden. Die Pferdehaltung habe in neuerer Zeit stark zugenommen,und nicht alle Pferdehalter verfügten über die nötige Fachkenntnis. Wenn durch Überbeweidung die Grasnarbe beschädigt werde, so entstünden ideale Bedingungen für die Ansiedlung der Greiskräuter. Mancherorts hätten sich dadurch Massenbestände gebildet.

•Dr. Peter Keller (Landau) kennt einzelne Stellen, wo sich die Bestände des Jakobs-Greiskrauts auffällig vergrößert haben.Wo vor einigen Jahren nur Einzelexemplare standen, seien es jetzt größere Trupps.

•Dr. Walter Lang schreibt,  z.B. im Erpolzheimer – Bad Dürkheimer Bruch zeige sich für das Raukenblättrige Greiskraut „eine Tendenz, sich auf Brachen und trockenen, nicht zu frühzeitig gemähten Wiesen zu etablieren“.
Beim Jakobs-Greiskraut sei dies nicht festzustellen.

•Robert Fritsch (Idar-Oberstein) beobachtete im Nahegebiet, dass das Jakobs- und das Raukenblättrige Greiskraut von der Zunahme von Grünlandbrachen profitiert haben und dadurch eine dichtere Besiedlung des Raums entstanden ist.

•Otto Schmidt (Kaiserslautern) meldete eine Beobachtung bei Siegelbach, wo das Raukenblättrige Greiskraut von einer reichlich besiedelten Ruderalflur aus ins benachbarte Wirtschaftsgrünland eindringt. Hier, so Schmidt ,„kann man sich leicht vorstellen, dass die Landwirte Alarm schlagen.“

 

Die Wahrnehmung von Botanikern und Vertretern landwirtschaftlicher Institutionen scheint bezüglich der Greiskraut-Bestandsentwicklung ziemlich unterschiedlich zu sein. Laut Steffen Caspari gibt es beispielsweise im Saarland keine signifikante Zunahme, während ein Vertreter der Landwirtschaftskammer des Saarlands im Internet-Angebot der Saarbrücker Verlags Service GmbH (sol.de) mit den Worten zitiert wird: „Die Verbreitung nimmt eine katastrophale Entwicklung an.“

 

Das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Eifel berichtet auf seiner Homepage von einer „deutlich zunehmenden Ausbreitung“ des Jakobs-Greiskrauts während der vergangenen zwei bis drei Jahre. Schäden in der Landwirtschaft seien bekannt geworden, so teilte man auf Anfrage mit. Bei Bitburg etwa habe ein Rinderhalter den Aufwuchs seiner Wiese wegen zu hohen Greiskraut-Anteils entsorgen müssen, statt ihn zu verfüttern. Gerade aus der Eifel und dem westlichen Hunsrück liegen uns besonders umfassende Informationen zur Bestandssituation des Jakobs-Greiskrauts vor, die uns von Prof. Barbara Ruthsatz übermitteltwurden (das Raukenblättrige Greiskraut spielt dort keinewesentliche Rolle).


Barbara Ruthsatz hat in diesem Raum 964 Wiesen untersucht. In gut der Hälfte kam zwardas Jakobs-Greiskraut vor, aber nur auf sechs Wiesen war die Art häufig. Auf mehr als der Hälfte der Wiesen mit Greiskraut war es hingegen selten und aufweiteren 21 Prozent nur zerstreut anzutreffen. Die Wiesen mit nennenswerten Greiskraut-Vorkommen waren mager und erweckten den Eindruck zeitweiliger Störungen oder nur unregelmäßiger Nutzung. „Insgesamt entstand nicht der Eindruck, dass die Art auf Mähwiesen in Ausbreitung begriffen ist. Dies könnte jedoch auf Viehweiden und Ruderalflächen anders sein“, so Barbara Ruthsatz.

 

Ebenfalls aus dem nördlichen Rheinland-Pfalz berichtet Silke Dehe von Beobachtungen auf der Gemarkung Hunzel (Rhein-Lahn-Kreis). Danach breitet sich das Jakobs-Greiskraut, das bei uns tatsächlich zunächst nur an Straßen- und Wegböschungen vorkam, dort vorwiegend auf Brachflächen und im nicht zu alten Grünland auf ehemaligen Äckern (seit bis zu 15 Jahren Grünlandnutzung) aus.Wird oder wurde dieses Grünland durch Pferde beweidet, ist die Ausbreitung intensiver. In altes Dauergrünland wanderte das Jakobs-Greiskraut bislang nicht ein, auch wenn es rundherum ausreichend blühende Exemplare gibt.


Das Jakobs-Greiskraut ist im Übrigen wie auch das Raukenblättrige Greiskraut ein traditioneller Bestandteil der Wiesenvegetation. In der „Flora der Pfalz“ von F.W. Schultz (1845) wird das Jakobs-Greiskraut als „fast
überall gemein“ angegeben, und als Standorte werden„ trocknere Wiesen,ungebaute und waldige Orte“ genannt. Das Raukenblättrige Greiskraut war seinerzeit in den Kalk- und Lehmgebieten nicht selten und siedelte ebenfalls unter anderem in trockenen Wiesen. Durch die großflächige Intensivwirtschaft waren die Greiskräuter als Arten,die sich am besten in Brachen entwikkeln, aus den Wiesen verschwunden. Mit der Extensivierung größerer Grünlandbestände kehren sie an ihre traditionellen Standorte zurück.

 

Zur Giftigkeit der Greiskräuter

Die Wirkstoffe der Greiskräuter sind verschiedene so genannte Pyrrolizidin-Alkaloide. Sie werden von Pflanzen unterschiedlicher Familien, vor allem Asteraceae und Fabaceae, als Fraßschutz gebildet. Bislang sind 400 verschiedene Pyrrolizidin-Alkaloide bekannt. Alkaloide sind stickstoffhaltige, basische Verbindungen, die den Pflanzen als Fraßschutz und als Stickstoff-Reserve dienen. Zu ihnen zählen einige prominente Pflanzengifte wie Nikotin, Kokain, Morphin, das Strychnin aus der südostasiatischen Brechnuss und das Tollkirschen-Gift Atropin. Die Pyrrolizidin-Alkaloide sind an sich kaum giftig, wohl aber ihre in der Leber von Mensch und Tier entstehenden Abbauprodukte. Für eine solche Entstehung von Giften im Körper durch Stoffwechselvorgänge gibt es einen Fachausdruck: „Metabolische Toxifizierung.“

 

Paracelsus ’Weisheit  „Die Menge macht das Gift“ trifft bei den Pyrrolizidin-Alkaloiden in besonderer Weise zu. In geringer Menge aufgenommen, können die Entgiftungsmechanismen des Körpers damit problemlos fertig werden, und sie bleiben damit unschädlich. Eine Aufnahme in größerer Menge führt aber zur metabolischen Toxifizierung. Die entstehenden Gifte schädigen die Leber, und dies dauerhaft – sie wird fortan größere Schwierigkeiten damit haben, neuerlich aufgenommene Pyrrolizidin-Alkaloide auszusondern, sodass bereits geringere Mengen zur Toxifizierung ausreichen. Außerdem gelten die aus den Pyrrolizidin-Alkaloiden entstehenden Toxine als krebserregend.

 

Die Tatsache, dass zahlreiche Grundnahrungsmittel des Menschen, u. a. die Hülsenfrüchte, Pyrrolizidin-Alkaloide in geringen Mengen enthalten, zeigt, dass der Mensch und sein Stoffwechsel gelernt haben, damit
umzugehen.

 

Drohen dem Menschen Gefahren durch Greiskräuter?

Eindeutig nein! Lediglich bei der Aufnahme wirklich großer Mengen von Greiskräutern könnte man sich Probleme vorstellen. Man müsste Rucola schon zum Grundnahrungsmittel küren, und Verunreinigungen mit
Greiskräuternmüssten die Regel sein, damit eine Toxifizierung einsetzen könnte. Pyrrolizidin-Alkaloide sind nicht greiskraut-spezifisch; es gibt sie beispielsweise auch in Schmetterlingsblütlern. Auch Bohnen und Erbsen enthalten das angebliche Teufelszeug und könnten theoretisch zu Leberschäden führen. „Es gibt Gerüchte, dass Hülsenfrüchte in Mengen genommen nicht gut bekommen“ – Heinz Erhards Poem besitzt in mehrfacher Hinsicht eine tiefe Wahrheit. Selbst einige altbekannte Heilpflanzen wie Pestwurz, Beinwell und der Huflattich enthalten Pyrrolizidin-Alkaloide. Daher sind mittlerweile etliche Pharmazeuten durchaus skeptisch, ob manche Naturheilmittel bei längerfristiger Anwendung Risiken bergen. Der angebliche Gift-Rucola war damit eindeutig Panikmache.

 

Die von Presse, Funk, Fernsehen und erst recht im Internet verbreitete Entwarnung, der abscheulich bittere Geschmack des Gewöhnlichen Greiskrauts halte automatisch von der Aufnahme zu großer Mengen ab, ist indessenmit Skepsis zubetrachten. Es mag ja sein, dass das Greiskraut wie manch andere Pflanze auch im Jahresverlauf seinen Geschmack verändert. Aber zumindest im September haben ausgiebige Selbstversuche gezeigt: Geschmacklich wäre gegen das Gewöhnliche Greiskraut nichts einzuwenden; mit seiner feinherben Frische hätte es das Zeug zur Salatpflanze.

 

Das Risiko für Pferde…

Für Tiere lässt sich allerdings ein gewisses Gefährdungspotential nicht ganz von der Hand weisen. Dies gilt hauptsächlich für Pferde. Akute, innerhalb weniger Tage zum Tod führende Vergiftungen sind jedoch nahezu unmöglich.Zwar mag es dramatisch klingen, dass bereits 40 bis 80 Gramm Greiskraut pro Kilogramm Körpergewicht zum Ableben führen können. Bedenkt man aber, dass ein durchschnittliches Pferd 500 Kilogramm wiegt, so müsste das Tier mindestens 20 Kilogramm Greiskraut fressen, und das entspräche zwei Dritteln seiner täglichen Nahrungsaufnahme. Weil Pferde - wie auch Rinder -größere, blühende Greiskrautpflanzen verschmähen, wird dieser Fall in der Praxis kaum eintreten können. Diese Meidung lernen junge Weidetiere von älteren Artgenossen, wenn sie mit ihnen auf der Weide stehen, und die starke Zunahme in Weiden zeigt ja, dass Greiskräuter vom Vieh verschmäht werden. „Selbst die gern als dumm verkauften Rindviecher, so sie die Chance der Freilandhaltung haben, verfügen über eine bessere Artenkenntnis als mancher Biologe“, schreibt Botanik-Professor Ruprecht Düll auf der Homepage der Stadt Euskirchen.


Andererseits: Die tödliche Dosis muss nicht auf einmal eingenommen werden. Wenn das betreffende Pferd regelmäßig mehr Pyrrolizidin-Alkaloide aufnimmt, als schadlos wieder abgegeben werden können, so reichern sich im Lauf der Zeit deren giftige Abbauprodukte in der Leber an. Das kann sich über Monate erstrecken. Es war keine Angabe darüber zu finden, wie groß die gefressene Greiskraut-Menge bei Pferden sein muss, damit die metabolische Toxifizierung beginnt. Angenommen, diese Menge wäre bei 200 Gramm Greiskraut bereits erreicht, so müsste ein Pferd nur einen kräftigen Greiskraut-Spross amTag fressen, und nach gut einemVierteljahr wäre die Letaldosis erreicht.

 

Diese Möglichkeit ist indessen wegen der Meidung von Greiskraut durch die Weidetiere fast genauso theoretisch wie die der akuten Vergiftung. Wollte ein Pferdehalter seine Tiere noch auf derWeide lassen, wenn sie schon angefangen haben, größere Greiskraut-Pflanzen zu fressen, so wären sie längst verhungert, ehe die Alkaloide ihnen zusetzen könnten. Das Jakobs-Greiskraut hat einen ziemlich bitteren Geschmack, während das Raukenblättrige Greiskraut eher das Aroma von Moder vermittelt.

 

Ganz ungefährlich ist das Greiskraut dennoch nicht. Dafür gibt es zwei Gründe – die Jungpflanzen und das Heu.

 

Die Jungpflanzen enthalten ebenso wie die blühenden Exemplare Pyrrolizidin-Alkaloide, aber sie werden von Weidetieren nicht gemieden. Und auch wenn ihre Masse pro Exemplar bescheiden bleibt, so könnte es doch sein, dass von ihnen bei reichlicherem Auftreten – das dem Tierhalter wahrscheinlich nicht einmal auffällt – ein paar hundert Grammpro Tag gefressen werden.


Das Heu birgt das größere Risiko. Beim Trocknen gehen die Geruchs- und Bitterstoffe des Greiskrauts verloren, die Alkaloide aber bleiben. Logische Folge: Das Greiskraut wird ohne Einschränkung mitgefressen. Weil Pferdeheu nicht allzu viel Eiweiß enthalten darf,wird es typischerweise recht spät im Jahr gemäht, und gerade in solchen spät gemähten Wiesen können sich Jakobs und Raukenblättriges Greiskraut etablieren. Die tödliche Dosis im Heu getrockneten Greiskrauts liegt für ein Durchschnittspferd bei ca. 3 Kilogramm. Wenn Pferdeheu auch nur ein Prozent Greiskraut enthält, dann kommt nach gut einem Vierteljahr die Letaldosis zusammen – vorausgesetzt  wiederum, die damit aufgenommene Alkaloid-Tagesdosis liegt über dem Wert, der gefahrlos wieder ausgeschieden wird. Das indessen weiß man nicht. Heu von Wiesen, in dem
Greiskräuter aspektprägend auftreten, führen jedoch mit einiger Gewissheit zur Vergiftung der Tiere. Wenn die Symptome sichtbar sind, hat die Leber einen irreparablen Schaden davongetragen. Eine Heilungschance gibt es dann nicht mehr.

 

Jedoch: Aus Deutschland gibt es bislang nur sehr wenige Vergiftungsfälle, in Bayern beispielsweise 2008 ein Pferd und zwei Rinder. Und die Einzelfälle sind auch noch mit einem Fragezeichen zu versehen. Denn wenn ein Pferd durch eine Vergiftung verendet, muss das nicht die Schuld des Greiskrauts sein. Es kommen auch andere Ursachen in Frage, etwa Pilze im Heu. Auch sollte man vor lauter Sorge wegen der Greiskräuter andere Gewächse nicht völlig aus dem Blick verlieren, die im Heu Schadwirkungen verursachen können, etwa das Johanniskraut. Aus Rheinland-Pfalz liegen bislang keine Hinweise auf Greiskraut-Vergiftungen vor.

 

…und für Rinder

Bei Rindern werden in den meisten Quellen mindestens 140 Gramm pro kg Körpergewichtals tödliche Dosis genannt.Rinder sind demnach weniger empfindlich als Pferde.

 

Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass sie auf der Weide Greiskraut eher fressen als Pferde. Auf der Website der Universität Zürich wird u.a. von einigen Fütterungsversuchen mit Jakobs-Greiskraut an Rindern berichtet:

•12 durchschnittlich 180 Kilogramm schwere Kälber wurden drei Tage lang mit 0,62 Gramm getrocknetem Jakobs-Greiskraut pro Kilogramm Körpergewicht gefüttert (ca. 110 Gramm pro Tag), danach 17 Tage lang mit 1,25 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht (ca. 225 Gramm pro Tag). Die Tiere starben zwischen dem 25. und dem182. Tag.

•4 durchschnittlich 140 Kilogramm schwere Kälber wurden 28 Tage lang mit 0,75 Gramm getrocknetem Jakobs-Greiskraut pro Kilogramm Körpergewicht gefüttert (ca. ca. 105 Gramm pro Tag). Sie starben nach ca.
100 Tagen.

•4 ebenfalls durchschnittlich 140 Kilogramm schwere Kälber erhielten ebenfalls über 28 Tage die doppelte Dosis Jakobs-Greiskraut (1,5 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht) und starben nach ca. 40 Tagen.

 

Alle Kälber, an denen diese Fütterungsversuche vorgenommen worden waren, wiesen eine Leberzirrhose auf.

 

Heu wiegt etwa ein Siebtel der ursprünglichen Frischmasse. Die täglichen Greiskraut-Mengen im Heu, die bei den Kälbern nach längstens einem halben Jahr zu tödlichen Vergiftungen führten, entsprechen ungefähr zehn durchschnittlichen blühenden Pflanzen. Für langsamer verlaufende, aber ebenso tödliche Vergiftungen wären geringere Tagesdosen ausreichend.

 

Ziegen und Schafe gelten übrigens als vergleichsweise unempfindlich gegen die Alkaloide; ihnen droht keine wesentliche Gefahr.

 

Können Greiskräuter ein Naturschutzproblem werden?

Das Jakobs-Greiskraut und das Raukenblättrige Greiskraut haben als heimische Pflanzen ihren Platz im Naturhaushalt. 170 Insektenarten nutzen sie als Nahrungsquelle. Der Jakobskrautbär (Tyria jacobaeae) ist
auf das Jakobs-Greiskraut angewiesen. Seine oft in großer Zahl an den Pflanzen lebenden Raupen nehmen deren Gifte als eigenen Schutz in sich auf. Häufig ist der Nachtfalter nicht und in einigen Bundesländern, so in Baden-Württemberg, gilt er sogar als gefährdet. So gesehen sind die Greiskräuter wichtige Bestandteile unserer Natur und keine Gegenspieler ihres Schutzes.

 

Andererseits: Wenn alle Landwirte, die ein vereinzeltes Greiskraut auf ihren Wiesen und Weiden finden, den Empfehlungen von Landwirtschaftsbehörden und –kammern folgten, dann liefe dies den Naturschutzzielen vehement zuwider. Denn in „ordentlich gepflegtem“ Grünland bleibe das Greiskraut unter jeglichen Schadensschwellen. Es müsse nur hinreichend gedüngt, früh gemäht, außerdem geschleppt, gewalzt und im Falle von Narbenschäden etwa nach Dürre alsbald nachgesät werden, und das Giftkraut habe keine Chance.

 

Das alles ist richtig – und es bedeutet: Ein Greiskraut-Problem in der Wiese kann vor allem bekommen haben, wer nicht düngt und spät mäht, mithin also extensiv und naturschutzkonform wirtschaftet.

 

Soll eine Brache wieder oder erstmals als Mähwiese genutzt werden, so besteht die Möglichkeit, dass sich hier stattliche Greiskraut-Bestände gebildet haben. Da hilft nur, einige Jahre lang mindestens zweimal jährlich zumähenmit erstem Schnitt spätestens Anfang Juni und gegebenenfalls eine Nachsaat vorzunehmen.

 

Bei der Beweidung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, sie im Einklang mit Naturschutzzielen zu betreiben. So kann es sinnvoll sein, eine Fläche vollständig abweiden zu lassen, damit keine Selektion der Pflanzen erfolgt. In solcher Intensitätmuss etwa beweidet werden, wenn Gehölze unterdrückt oder zurückgedrängt werden sollen. Dann lassen sich kleine Kahlstellen am Boden nicht vermeiden  - was kein Schaden ist, denn sie erhöhen das Strukturangebot für Tiere und oft auch die botanische Artenvielfalt, indem sich zusätzliche Arten ansiedeln können. Diese Chance können Greiskräuter mit ihren vom Wind verbreiteten Früchten besonders effizient nutzen. Ein zunehmender Greiskraut-Anteil in Flächen, die durch Beweidung gepflegt werden, kann selbstverständlich nicht in unserem Sinne sein. In Einzelfällenmag es erwägenswert sein, Ausbreitungszentren in der Nähe vor der Fruchtreife zu mähen, um Sameneinträge zu verhindern.

 

Fazit

Die insbesondere aus Norddeutschland gemeldete, explosionsartige Ausbreitung von Jakobs-Greiskraut und Raukenblättrigem Greiskraut findet in Rheinland-Pfalz nicht statt. Lokal gibt es Bestandszunahmen, die in Einzelfällen die naturschutzkonforme Nutzung von Wiesen und Weiden behindern können. Eine Beobachtung der Greiskraut-Bestandsentwicklung erscheint zweckmäßig, gegebenenfalls können auch punktuelle Maßnahmen gegen Greiskräuter angebracht sein. Eine Gesundheitsgefahr durch versehentliche Kontamination von Rucola mit einzelnen Stängeln von Greiskraut besteht nicht.

 

Dank


Herzlicher Dank gilt den Fachkollegen, die ihre Einschätzungen zur Bestandsentwicklung der Greiskräutermitgeteilt haben: Dr. Steffen Caspari (St. Wendel), Silke Dehe (Hunzel), Robert Fritsch (Idar-Oberstein), Dr. Michael Hassler (Bruchsal), Dr. Peter Keller (Landau), Dr. Walter Lang (Erpolzheim), Dr. Hans Reichert (Trier), Dr. Oliver Röller (Haßloch), Otto Schmidt (Kaiserslautern) und Dr. Peter Thomas (Hatzenbühl).
Michael Hassler steuerte weitere wertvolle Hinweise bei und übernahm auch eine Durchsicht des Manuskripts. Silke Dehe übermittelte wichtige Literatur zum Thema. Besonderer Dank gilt Prof. Dr. Barbara Ruthsatz, die uns ein noch unveröffentlichtes Manuskript mit umfassenden Informationen zur Bestandsentwicklung in der Eifel und dem westlichen Hunsrück überließ.


Heiko Himmler, Landau

 

 

Der Bericht ist bereits im Pollichia-Kurier Heft 4 Okt.-Dez. 2009  erschienen.
Weitere Informationen zum Verein für Naturforschung und Landespflege erhalten Sie direkt unter www.pollichia.de

 

 

 

 

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