Gottfried Kellers "Grüner Heinrich" als Pfingstquack

Gottfried Kellers "Grüner Heinrich" als PfingstquackIn der (pfälzischen) volkskundlichen Literatur wird bis heute der Pfingstquack stets und ausschließlich - und fälschlicherweise - als Maskengestalt und Fruchtbarkeitsdämon gesehen. Nach dem Ermessen der Volkskundlerin Eva Labouvie seien sogar Bezeichnung und Herkunft des Pfingstquack bis heute nicht geklärt:

"Der Ursprung dieser vor allem im südwestdeutschen und hier besonders im saarländischen Raum beheimateten Quacksitte, die in der Nacht vor Pfingstsonntag ihren Anfang nahm, bleibt, ebenso wie ihre Bezeichnung, auch unter Hinzuziehung von Quellenmaterial aus dem 17. und 18. Jahrhundert ungeklärt." 

Doch hier irrt Labouvie, wie auch alle anderen, die sich vor ihr um eine Klärung des Pfingstquacks bemühten. Mehrere Forschergenerationen wären bereits im Ansatz weitergekommen, hätten ihre Vertreter die Klassiker der deutschen Literatur gelesen, insbesondere Gottfried Kellers Bildungsroman "Der Grüne Heinrich".

Keller beschreibt einen historischen Fastnachtsumzug in München im 19. Jahrhundert, der nach dem Muster des traditionellen Nürnberger Umzugs gestaltet war. Der Festzug zerfiel in drei Hauptzüge, wobei "der dritte einen alten Mummenschanz umfaßte". Im 13. Kapitel unter der Überschrift "Wiederum Fastnacht" heißt es in der den Buchtitel und den Namen des Titelhelden Heinrich Lee, genannt der Grüne Heinrich, erklärenden Schlüsselstelle:

"Meinerseits hatte ich mich, meinem alten Zunamen getreu, in ein laubgrünes Narrenkleid gesteckt und um die Schellenkappe ein Geflecht von Disteln und Stechpalmenzweigen mit roten Beeren geschlungen."
In dieser Figur und in der verwandten des Wilden Mannes haben wir die Vorläufer und die Urformen unseres pfälzischen Pfingstquackes zu suchen, wie er sich auch im grüngewandeten Landauer Hansel Fingerhut in einer Zeichnung von Heinrich Strieffler verkörpert.

Nachdem wir zunächts mit der Erklärung des Namens Pfingstquack eine Grundlegung schaffen, werden wir im weiteren Diskurs erstmals in der Geschichte des Faches Volkskunde auch gesichertes Wissen über Wesen und Herkunft des Pfingstquacks anbieten können. Allerdings verbietet sich dabei eine eindimensionale Sicht und Reduzierung dieser Maskengestalt als ausschließliche Verkörperung der spätmittelalterlichen Narrenfigur. Der (pfälzische) Pfingstquack ist ebenso Narrenkönig wie er Frühlingsbringer und zugleich Vieh- und Weidedämon ist. Die einzelnen Bedeutungsschichten gilt es in der Analyse von Fall zu Fall scharf voneinander zu trennen.

Pfingstquack - Nestquack - Quack

Quack meint im engeren und eigentliche Sinne den jungen Vogel, der ursprünglich als Symbol des Sommers herumgetragen wurde. Der bayerische Wasservogel, der badensische Pfingstpflütter und der pfälzische Quack (Pflütter und Quack bedeuten Nestling) sind Varianten des Themas, Vögel oder kleine Tiere als Frühlingszeichen umherzuführen. Es kommt schließlich zu einer Übertragung auf den späteren Pfingsttermin. Dabei erhält einer aus der Schar der Jugendlichen selbst diesen Namen und eine Hauptrolle im Spiel der Hirtenjungen, bei dem das Prinzip des "Letzten" von Bedeutung ist:

In Wernersberg, Hettenleidelheim, Tiefenthal und Imsbach war es üblich dem an Pfingsten zuletzt aufstehenden Kind einen Kranz umzuhängen. Im Schwäbischen führten die Burschen Wettkämpfe aus, der erste war Pfingstmeister, der zweite Pfingstlümmel. Bei uns fehlen diese Kämpfe. Dafür sind die Hinweise umso reicher, daß früher der zu spät Kommende geneckt wurde, nicht der, der im Kampf verlor. In den südpfälzischen Orten, die noch die Bezeichnung Pfingstknechte gewahrt haben, heiß es im Spruch, der Quack habe Eier (Erbsen) gefressen und den Ochs (Stier, Gaul, das Roß) im Stall vergessen. (So in Vollmersweiler, Böllenborn, Dimbach, Ludwigswinkel, Hirschthal, Petersbächel.) Es kann damit nur ein Spott gemeint sein, der den von den Hirtenbuben traf, der zuletzt zum Viehaustrieb an Pfingsten ankam und womöglich eines seiner Tiere vergessen hatte. Ganz eindeutig wird die Deutung, wenn wir eine Nachricht heranziehen, die das Pf. Wörterbuch Herrn Friedrich Rech aus Stanislaus (Ostgalizien) verdankt. Dort wurde der Hütbube, der an Pfingsten am spätesten auf der Hutweide (Gemeindeweide) erschien als Pfingstlemmer verspottet mit dem Ruf: 'Pinschtlemmer, Erbsefresser, hot die Kuh im Stall vergessen, hoscht zu lang geschlof, werscht fer das geschtroft!'

Das Prinzip des "Letzten" - die Wahl des Narrenkönigs

In der zuletzt erschienenen Arbeit zum Pfingstquack (Paul 1992) rekapituliert der Autor einige Interpretationen, rekurriert dabei letztlich auf germanischen Fruchtbarkeitszauber, was aus heutiger Sicht vollkommen unverständlich ist, und enthält sich im übrigen eines eigenes Verständnisses des Wortes Quack.

Dieser wissenschaftliche Habitus scheint typisch zu sein für jüngere Autoren, deren Arbeiten eigentlich über jeden Ideologieverdacht erhaben sein sollten: Im Wissen um die Gefahren beim Postulieren kühner Kontinuitäten erstellen sie vorsichtshalber überhaupt keine eigenen Erklärungsmodelle, sondern schildern lediglich die heutigen Erscheinungsformen des Brauches und referieren die bisher dazu geäußerten Forschungsmeinungen."

Mit der nachfolgenden Aussage ist auch das Volkskundeforscher-Ehepaar Herbert und Elke Schwedt zu kurz gesprungen, indem es die primäre Bedeutung (Sommersymbol s.o.) vernachlässigt und vielmehr den Namen mit der sekundären Bedeutung (Nachzügler) erklärt, weil es offensichtlich so gut zur aktuellen Erscheinung des Brauches mit seinem Prinzip des "Letzten" paßt:

"Quack ist ... die mundartliche Bezeichnung für einen Nachzügler, ein Nesthäkchen, auch einen Langschläfer, kurz: für den letzten. So wurde die Benennung auch im Brauch verstanden und praktiziert."

Das Prinzip des "Letzten" im Pfingstquackbrauch realisiert sich nicht nur im Nachzügler, Langschläfer und im letzten Hütejungen beim ersten Viehaustrieb, sondern auch im Dümmsten. Die Richtung, in die es zu denken gilt, ist deshalb eine gänzlich andere, als die deutschen Volkskundler suggerieren. Der schwedische Volkskundler Waldemar Liungman weist uns den richtigen Weg zu einem völlig anderen Motivkreis. So wird sich im weiteren Diskurs das Prinzip des "Letzten" als das Wahlverfahren zur Bestimmung des Narrenkönigs erweisen.

"Unter den Sitten, die jedoch wahrscheinlich aus den Mai-, Pfingsten-, Neujahrs- oder Fastnachtssitten stammen, sind die Bräuche, den Letzten auszuzeichnen, und einen Erntemai zu errichten, ebenso die Vorliebe, einen Phallus an irgend einer Figur usw. anzubringen."

Der Tod des Narrenkönigs - warum der Quack geschunne wird

Es ist also der Fastnachtskomplex, aus dem sich bei näherem Hinschauen unser Pfíngstquack mit all seinen verschiedenen Erscheinungsformen schält und seinen Ursprung und sein Wesen als Narrengestalt erkennen läßt:

Wir erinnern an das Stroh- und Laubumhüllen, die in den Pfingstspielen auftretenden Nebenpersonen, die Schellen, den Phallus und den Strohschwanz des Pfingstmannes, seinen Spitzhut, ferner an die scheinbare Beseitigung des Pfingstmannes durch seine Köpfung, Verbrennen, Begraben oder Inswasserwerfen - alles Entlehnungen von den Fastnachtsaufzügen.

Der Pfingstquack war als Puppe das Symbol für den Narren. Wie sein Tod zum Ende des Dramas auf dem Balkan gehörte, mußte bei uns der Narr der Fastnacht symbolisch getötet, begraben, ertränkt, verbrannt werden. Andere relikthafte, vor diesem Traditionshintergrund erst zu erfassende und zu verstehende Erscheinungen, hat Otto Bertram an verschiedenen Stellen notiert:

"Besonders der südpfälzische Pfingstbutz wurde von der Jugend verspottet. ... In Wernersberg bei Annweiler wird er auf den Wiesen hin- und hergerollt, bis er schreit, in Böllenborn bei Bergzabern geschlagen und sein Laubkleid wird auf der Straße zerrissen. ... Da ist der Gänsequack in Waldrohrbach, dessen Laubkleid von den Mädchen ins Wasser geworfen wird."

 Resthaft läßt sich dieses Brauchelement des Narrentötens auch beim Schmalenberger Pfingstquack entdecken, denn er wurde früher am Ende des Umzugs durchs Dorf verfolgt, d.h. geschunden, indem ihm Teile seiner Hülle entrissen wurden. Diese auf den ersten Blick unscheinbare und unwichtige Handlung steht am Ende einer zeitlich langen Überlieferungstradition und einer weiten Traditionswanderung. Waldemar Liungman schreibt dazu:

"Der König und der Narr standen schon in den bulgarischen Fastnachtsaufzügen einander sehr nahe. In der Tat konnte der Narr in den Aufzügen wie auf der Bühne verschiedene Rollen spielen. Als König sprach er Urteile aus, als einfacher Narr wurde er in Wasser geworfen oder - oft durch eine Puppe ersetzt - begraben, was jedoch auch das Ende des Königs werden konnte. Dieses Ende symbolisierte gleichzeitig das Ende der Fastnacht und entspricht etwa dem Tod des Saturnalienkönigs oder Sakäen-Wesirs. Der Tod des Narren auf dem Balkan gehörte zum Drama. Der Narr auf dem Balkan wurde aber wieder auferweckt; in Mitteleuropa gehört die Wiedererweckung des Narren (der Fastnacht) zu den Ausnahmen, wenn sie auch hier und da vorkommt."

Der Pfingstquack als Narrenkönig

Im Aussehen der Maskengestalt sowie in den Heischeversen, in denen sieben Eiern gefordert werden, sind uns Hinweise überliefert, die deutlich den Charakter des Narrenkönigs im Pfingstquack aufscheinen lassen. So können wir zurecht im mächtigen und farbenprächtigen Blumenhut des Schmalenberger Pfingstquacks den Narren(königs-)hut (Krone) erkennen. Deutlicher in der Erscheinung als solcher wird dieser, wenn, wie in Hinterweidenthal, ein ganz in Goldpapier gehüllter Quack im Galopp zwischen vier Reitern mit geschwärzten Gesichtern, hohen, spitzen Kappen und hölzernen Schwertern ritt.

Im mancherorts üblichen Umreiten des Misthaufens sehen wir relikthafte eine Szene, die für die parodistische Huldigung des Narrenkönigs auf seinem "Thron" steht. Auf ihm dem Misthaufen stand früher wohl allgemein der Quack, während die ihn umkreisenden Reiter ihre Lieder sangen (Mittelbrunn).

In einem bisher unbeachtet gebliebenen Heischevers aus Nußdorf wird das Narrenkönigtum des Pfingstkönigs sogar direkt zum Ausdruck gebracht: "Ich bin ein junger König, Drum gebt mir nicht zu wenig'." 

Adolf Spamer, der "Altmeister" der Deutschen Volkskunde, war offensichtlich der erste, der einen richtigen Hinweis auf die Herleitung des Pfingstquacks gab, indem er das Fleckengewand des Narren von der alten Verhüllung des "Wilden Mannes" herleitete. In der Tat kann unschwer eine strukturelle Ähnlichkeit zwischen dem Flickenkleid des Narren mit dem Laubkleid des Pfingstquacks gesehen werden. Der einzelne Flicken entspricht in seiner Erscheinungsform dem einzelnen Baumblatt. Das Flickenkleid ist in Aussehen und Funktion nichts anderes als das Blätterkleid. Die Wissenschaft hat für diesen Typ den Begriff Centunculus geprägt. Centunculus bedeutet Flickenteppich, Flickengewand, und wird als Schauspielertracht des Lustigmachers in den Fastnachtsaufzügen geschildert. Als solcher ist er auf Zypern, in Rumänien, in den Alpenländern und in Deutschland bis in unsere Tage belegt.

Im christlich geprägten Mittelalter erhielt die altüberlieferte Zottelgestalt eine Bedeutungserweiterung mit christlichem Gehalt. So konnten der Wilde Mann und die Wilde Frau schon bald einen Maskentypus bilden, der bereits zwischen 1470 und 1480 ein fester Bestandteil der Nürnberger Fastnacht war. In der christlichen Vorstellungswelt des Mittelalters verkörperten sie alles Roh-Natürliche, alles Wüste und Ungebaute, Fremdartige, Unheimliche. Wilde Leute waren einst Repräsentanten der Gottesferne und galten wie alle anderen Narrentypen letztlich als Abkömmlinge des Teufels.

Dass der Pfingstquack bis heute nicht verschwunden ist und er vor allem in Gemeinden des Pfälzerwaldes anzutreffen ist, hat mehrere Gründe. Einer mag sicherlich sein, daß hier das Ausgangsmaterial wie Äste, Zweige und Blätter reichlich vorhanden sind, sie sind bei der Maskenanfertigung einfach zu handhaben und zudem kostenlos. Das erleichtert in nicht zu unterschätzendem Maße die alljährliche Reproduzierbarkeit der Maske.




Das Buch zum Bericht:

Seebach, Helmut. Sommertag, Ostern, Pfingsten, Johannistag. Alte Feste in der Pfalz, Band 3. Annweiler-Queichhambach 1998.
Gebundene Ausgabe - 217 Seiten

Sommertag, Ostern, Pfingsten und Johannistag unterlagen noch dem Einfluß der Fastnachts- und Fastengebräuche und haben daraus Elemente integriert. Der eierlegende Osterhase erweist sich als eine pfälzische Erfindung. Erstmals wird umfassend über den Pfingstquack als Narrengestalt gehandelt. Die Mai- und Johannisbräuche werden als Ausformungen der dörflichen Sexualkultur verstanden.

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