Geheimnisvoller Schacht in der Biedesheimer Kirche

Das Sacrarium liegt unter dem Mittelgang des Kirchensaales und ist mit Holzdielen abgedeckt. Am Boden des Schachtes ist eine elektrische Beleuchtung angebracht, die es interessierten Kirchenbesuchern ermöglicht in eine rund 1200jährige Geschichte der Kirche zu blicken.Überreste einer Taufanlage - Die von außen so unscheinbare Kirche in Biedesheim birgt in ihrem Inneren eine in der Pfalz einzigartige Kostbarkeit. Während den Renovierungsarbeiten 1965/66 wurde bei der Entfernung des alten Bodenbelages mitten in der Kirche eine brunnenartige Anlage entdeckt. Es handelt sich um einen Rundschacht von 20 cm Mauerstärke, einem Innendurchmesser von 55 cm und einer Tiefe von etwa 67 cm. Um die Oberkante des Schachtes war ursprünglich ein zweistufiger Steinring von 2 m Durchmesser aus rundbehauenen Sandsteinen gelegt.  

 

Vermutlich wurde die obere Stufe bei der Verlegung der Fußbodenplatten um 1700 abgebrochen. Bei diesen Arbeiten wurde der Schacht damals mit Lößlehm verfüllt. Die Rundsteine fanden sich bei den Ausgrabungen an verschiedenen Stellen der Kirche als Unterlage für den damals verlegten Steinfußboden.
Die Entdeckung des Schachtes rief das Amt für Vor- und Frühgeschichte auf den Plan. Durchgeführte Untersuchungen ergaben, dass der freigelegte Schacht zur jetzigen, frühromanischen Kirche und nicht wie ursprünglich vermutet zu dem karolingischen Vorgängerbau gehörte. Im Zuge dieser Untersuchung konnten auch die Grundmauern und der Fußboden der Vorgängerkirche freigelegt und vermessen werden, was interessante Rückschlüsse auf das alte Gotteshaus ermöglichte. Dieser Bau war 9,05 m lang und 5,40 m breit. Der Chor war genau wie der heutige rechteckig und mit seinen Abmessungen 2,15 m lang und 3,25 m breit aber deutlich kleiner. Auch gelang es, den alten Estrichboden frei zu legen. Er liegt etwa 90 cm unter dem ursprünglichen Fußboden und hatte von Osten nach Westen ein Gefälle von 25 cm. Der Estrich besteht aus einem Kalkmörtelestrich mit Ziegelmehlhaut, der in die karolingische Zeit weist. Auch die gefundenen Keramikscherben konnten dieser Zeit zugeordnet werden. Ebenfalls konnte gezeigt werden, dass der Chor 2 Stufen über dem Langhaus erhöht war.
Die Bodenuntersuchung brachte noch weitere hochinteressante Details ans Licht. Etwa 24 cm unter dem letzten Fußboden der Kirche lagen verzierte Tonfliesen, die Reste eines gotischen Fußbodenbelages darstellen. Wiederum 46 cm tiefer fanden sich Reste eines Lehmstampfbodens, der als Unterlage eines etwa 8 cm hohen Steinplattenbelages diente und der erste Fußboden der jetzigen Kirche war. Die Aufschüttung um etwa insgesamt 90 cm wurden im Laufe der Zeit wohl wegen Grundwasserschwierigkeiten vorgenommen (1).

Querschnitt durch einen Taufstein mit Abfluß

 Der Schacht ist ein sogenanntes Sacrarium (3), ein an geweihter Stelle angelegter unterirdischer Behälter für nicht mehr gebrauchtes Taufwasser, und gehörte zu einem Taufbecken oder Taufschale, die auf diesem Unterbau lag und die in ihrem Boden ein Abflussloch für das Taufwasser hatte. Diese Taufschale wurde spätestens 1708 entfernt und das Sacrarium verfüllt. In der Biedesheimer Kirche war demnach eine Taufanlage vorhanden, die ihre Vorbilder in der spätantiken bzw. frühchristlichen Zeit hatte. Die Biedesheimer Taufanlage stellt die Vorstufe der bereits in hoch- und spätromanischer Zeit schon üblichen Taufsteine dar, die das Taufbecken durch einen Unterbau vom Boden weg erhöhten.
Die besondere Bedeutung der jetzigen, frühromanischen Kirchenanlage über dem karolingischen Vorgängerbau beruht in ihrer Funktion als Taufkirche. Darauf deutet auch gerade die räumliche Anordnung der Taufanlage in der Kirchenmitte hin. Die Biedesheimer Kirche war Tauf- und Pfarrkirche für das ganze Gebiet, wahrscheinlich noch in frühgotischer Zeit. So erklärt sich auch die reiche künstlerische Ausmalung der Kirche aus dieser Zeit. In der vorromanischen Zeit besaß allein der Bischof das „Taufrecht“ und erst als das Recht zur Spendung des Taufsakramentes allmählich an den Ortspfarrer überging, begannen in der Romanik die Taufsteine zum Inventar der Pfarrkirchen zu werden. Wie selten diese Anlage ist, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich im Bereich der Bistümer Worms und Speyer keine romanischen Taufsteine erhalten haben; nicht einmal in den bischöflichen Metropolen gibt es vorgotische Taufsteine.
Die karolingische Kirchengründung, direkt an der alten Hochstraße von Worms nach Göllheim, bildete bereits im Frühmittelalter einen Mittelpunkt der christlichen Missionierung der Pfalz, und zwar im Zusammenhang mit dem Kloster Hornbach. Die Kirche befand sich in klösterlichen Besitz und wurde im Jahre 1100 wurde die Kirche an die Propstei Zell übergeben.

 

 

1 Müller, Otto: Geschichte und Bedeutung der Kirche in Biedesheim, in: Ev. Kirchenbote 1966, Nr. 44.

2 Querschnitt durch einen Taufstein mit Abfluß , Bild aus: Teuchert, Wolfgang: Taufen in Schleswig-Holstein, Heide 1986, S. 10.

3 „Sacrarium“, Lexikon für Theologie und Kirche 9, Sp. 206

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