Das Rathaus als Bauwerk

Der Begriff „Rathaus“ hat sich im Laufe der Zeit vielfach gewandelt. Der reine Verwaltungsbau von heute hatte ursprünglich mehrere Funktionen. Neben dem Amtssitz der Gemeindeverwaltung war er Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Hier begann schon sehr früh die Selbstverwaltung der „kleinen Leute“.

Theodor Heuß bezeichnete das Hambacher Schloss als die „Wiege deutscher Demokratie“. Diese Bezeichnung lässt sich getrost auf die dörflichen Rathäuser ‒ oder zutreffender Gemeindehäuser übertragen. Gerade in den Zeiten der Feudalherrschaft hat hier der freie Bauer die Geschicke der Gemeinde mitbestimmt. Hier tagte das Ortsgericht, hier wurden so manches Mal blutige Fehden beendet, hier siegte oft der gesunde Menschenverstand.

 


Die ältesten Rathäuser in der Pfalz stammen aus dem 16. Jahrhundert. Im Erdgeschoss war eine offene Halle mit Marktständen und kleinen Handwerksbetrieben. Im Zuge der Barockisierung wurden die Arkaden zugemauert. Der so entstandene geschlossene Raum diente in der Zeit nach der Reformation religiösen Minderheiten als Kirche. Auch in unseren Tagen befindet sich hier vereinzelt eine katholische Kapelle. Im 19. Jahrhundert wurden oft einklassige Schulen eingerichtet, später diente der Raum als Spritzenhaus. Im Obergeschoss nimmt der Rats- oder Versammlungsraum etwa die Hälfte der Stockwerksfläche in Anspruch. Hier fanden nicht nur Versammlungen, sondern auch frohe Feste statt. Die wenigen noch im alten Stil erhaltenen Ratssäle dienen auch heute noch Repräsentationszwecken. Neben dem Ratssaal hat der Bürgermeister sein Dienstzimmer.

Lage
Das Rathaus lag, seiner Bedeutung entsprechend, ursprünglich an einem zentralen Platz und bildete dort mit Kirche, Brunnen und Baumgruppe den Ortskern. Durch den Ausbau der Straßen wurde oft aus dem Platz eine Kreuzung. Der Haupteingang des Rathauses liegt auf der Front- oder Schauseite.

Baustile
Die Rathäuser der Pfalz haben zum Teil Vorgängerbauten aus der Renaissance (16. Jahrhundert). Die meisten stammen jedoch aus der Wiederaufbauzeit nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts und sind gekennzeichnet durch schlichten Barock oder fränkisches Fachwerk.

Steinbau
Die Steinbauten sind aus Natursteinen in mehr oder weniger intensiv zu Werksteinen bearbeiteten Bruchsteinen gemauert: Kalkstein aus den geologischen Formationen des Tertiär oder Buntsandstein aus dem Pfälzerwald (Buntsandstein-Formation). Der glatte Putz ist hell eingefärbt (Ocker, Kalk). Vereinzelt kommen auch Eckquader vor, das heißt, von Steinmetzen bearbeitetes Quadermauerwerk. Eine typisch barocke Gestaltungsform ist die Lisene, eine flache verputzte Mauervorlage, die optisch wie ein Pfeiler wirkt. Oft tragen die Lisenen ein Kapitell, das „Gebälk“ genannt wird. Die Fensterrahmen und Rundbogen bestehen aus Sandstein, größtenteils profiliert. Bei verstärkten Ecken spricht man von „gebrochener Rahmung“, die oft noch durch „Ohren“, runde Verstärkungen, betont wird.
Das umlaufende geschosstrennende Gesims hat die baupraktische Aufgabe, Regenwasser von der Fassade abzuhalten und wird daher oft „Wassernase“ genannt. Besondere Schmuckformen sind die Schlusssteine, die auch eine statische Aufgabe erfüllen, nämlich den Bogen zu schließen, das heißt, das Gleichgewicht herzustellen. Steinbauten und Fachwerkbauten halten sich in der Pfalz ungefähr die Waage. Der Stein als Baumaterial galt als Zeichen des Wohlstandes, weil er nicht überall in der erforderlichen Güte zu finden ist. Der Ziegelstein ist abhängig von entsprechenden Tonvorkommen und erfordert einen beachtlichen Energieaufwand bei der Herstellung.

Fachwerk
Das Fachwerk galt vielerorts als „Arme-Leute-Bauweise“. Das Holz wächst fast überall, an Weiden und Lehm für die Gefache war auch kein Mangel. Unproblematisch in der Bearbeitung und vielseitig in seiner Erscheinung ist „keine Bauweise wahrhaftiger als der Holzbau. Er zeigt nach außen deutlich sichtbar die innere Einteilung des Hauses und sein inneres Gefüge“ (Walbe).
Alle Fachwerkhäuser haben ein gemauertes Erdgeschoss, die ehemals offene Halle. Das in der Pfalz vorkommende Fachwerk ist das fränkische Fachwerk. Auf der zuunterst liegenden Schwelle stehen die senkrechten Pfosten (Stiele) und die schrägen Streben. Dazwischen liegen die waagerechten Riegel, die den Abmessungen der Fenster entsprechen. Oben schließt das Rahmholz (Rahm) die Geschosswand ab und nimmt die Balken des nächsten Geschosses auf. Das Fachwerk bildet das statisch wirksame Skelett. Die Gefache zwischen den Hölzern werden mit Weidengefl echt, Lehm und vereinzelt mit Backsteinmauerwerk ausgefüllt und erhalten einen zumeist aus Kalkmörtel bestehenden Putz. Neben den konstruktiv notwendigen Hölzern bildet das Zierfachwerk eine besondere Formensprache: Geschwungene Streben mit „Nasen“, Rauten, Rhomben, Andreaskreuze, Kleeblatt, etc. Schnitzereien sind besonders bei Eckständern, bei Schwellen und Rahmhölzern zu finden; dort oft in Verbindung mit Sinnsprüchen und Jahreszahlen. Eine Besonderheit ist der „Fränkische Erker“: Mehrere zumeist zum Ratssaal gehörende Fenster werden zusammengefasst und erhalten einen gemeinsamen etwa fünf bis zwanzig Zentimeter vorstehenden Rahmen.

Dächer
Für die Form des Daches ist es unerheblich, ob es zu einem Stein- oder Fachwerkbau gehört. Die von der Konstruktion einfachste Form ist das Pultdach, eine geneigte Dachfläche, vorwiegend bei Schuppen oder Anbauten anzutreffen. Bei den Rathäusern an der Weinstraße tritt diese Dachform als „Giebelverdachung“ im Bereich des Giebels auf. Die Giebelverdachung ist typisch für die Südpfalz, Baden und das Elsass. Die Aufgabe dieser Verdachung besteht im Schutz des Giebels vor Sonneneinstrahlung und schrägem Niederschlag. Das Satteldach besteht aus zwei Dachfl ächen, die das gesamte Haus abdecken. Das Haus erhält durch das Satteldach zwei Giebel und zwei Traufseiten. Die Traufseite ist die Längsseite, hier verläuft die Traufe (Regenrinne). Auf der Giebelseite entstehen ein oder mehrere Dachgeschosse. Die Giebelseite ist entweder als Fachwerk ausgebildet oder als Schildgiebel (z.B. Leistadt).
Das Walmdach hat vier Dachflächen und eine umlaufende Trauflinie (z.B. Weyher). Weit verbreitet ist das Krüppelwalmdach. Bei dieser oft vorkommenden Dachform ist die giebelseitige Walmfl äche verkürzt, „verkrüppelt“. Im Extremfall wird der Krüppelwalm zum „Schopf“ (z.B. Dörrenbach). Das Mansarddach ist die typische Dachform des Barocks (Francois Mansard 1596 - 1666). Von den beiden Dachgeschossen hat das untere Geschoss eine steile Dachneigung mit großen Fenstern und wird daher uneingeschränkt als Wohnraum genutzt. Das obere Dachgeschoss hat eine flache Dachneigung und eine geringe Stockwerkshöhe. Der hierdurch gebildete Speicherraum wird auch als „Spitzboden“ bezeichnet. Beim Mansardwalmdach (z.B. Freinsheim) sind die Dachgeschosse auch auf der Giebelseite geneigt. Die meisten Rathäuser sind mit einem polygonalen Dachreiter ausgestattet. Oft trägt er eine Uhr oder eine Glocke. Der Dachreiter wird in der Regel mit einer geschweiften Haube überdacht.

Treppen
Treppen beanspruchen einen bestimmten Raum (das Treppenhaus). Wenn im Inneren kein Platz vorhanden ist, verlaufen die Treppen als Außentreppe entweder an der Traufseite (z.B. Dörrenbach) oder an der repräsentativen Frontseite (z.B. Deidesheim). Die Außentreppen sind frei (z.B. Deidesheim) oder überdeckt (z.B. Freinsheim). Die konsequente Weiterentwicklung der überdachten Außentreppe ist der Treppenturm, der entweder eine Wendeltreppe (Spindel) aufnimmt oder eine Podesttreppe mit geradem Lauf.

 


Die schönsten Rathäuser der Pfalz, Agiro - VerlagAlle Texte und Abbildungen sind mit freundlicher Genehmigung entnommen aus:

Die schönsten Rathäuser der Pfalz von Ruth Shell mit Texten von Dr. Johann-Martin Deinhard
Bildband und Dokumentation, Hardcover, ca. 112 Seiten, 14,90 €, ISBN 978-3-934769-89-2 erschienen im Dezember 2008

Von der Anmut kleiner Rathäuser in der Pfalz - aufgespürt und künstlerisch umgesetzt in Radierungen von Ruth Schell, mit begleitenden Texten von Dr. Johann-Martin Deinhard. Wahre Kleinode sind sie manchmal: die alten Rathäuser der Pfalz. Und genau darum geht es der in Bobenheim am Berg lebenden Künstlerin Ruth Schell: um die versteckte Schönheit, die verborgene Anmut der Rathäuser in kleinen Dörfern oder Städtchen in der Pfalz.

Die besondere Atmosphäre der Rathäuser - von Altdorf über Haßloch, Diedesfeld oder Freinsheim bis Zweibrücken -, die Ruth Shell als Radierung im Miniaturformat künstlerisch eingefangen hat, wird durch dieses ausgefallene Büchlein wiedergegeben. Ergänzt werden die detailreichen Grafiken durch Texte von Denkmalpfleger Dr. Johann-Martin Deinhard, der die Geschichte und die baulichen Hintergründe der jeweiligen Rathäuser in lebendige Erinnerung bringt.

Erhältlich im Buchhandel oder direkt über den Agiro-Verlag, http://www.agiro.de ,Tel. 06321 - 48 93 43

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